27.06.13 | Während des eröffneten Insolvenzverfahrens gehören Einkünfte des Schuldners aus einer selbstständigen Tätigkeit in vollem Umfang zur Insolvenzmasse. Dabei kann der Schuldner gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850 i Abs. 1 Sätze 1 u. 3 ZPO beantragen, dass ihm von seinen Einkünften als Unterhaltsbedarf so viel belassen bleibt, wie ihm verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeitslohn bestehen würde.
Über § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO findet die Vorschrift des § 295 Abs. 2 InsO Anwendung, wenn der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb des selbstständig tätigen Schuldners aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hat. Im Falle der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit kommt § 295 Abs. 2 InsO bereits im eröffneten Verfahren zur Anwendung.
Freigabe der selbstständigen Tätigkeit
In Rechtsprechung und Schrifttum wird kontrovers beurteilt, gegen wen nach einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 InsO Forderungen aus von dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung begründeten und im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit fortgesetzten Dauerschuldverhältnissen geltend gemacht werden können. Dabei geht die wohl überwiegende Meinung davon aus, dass Kraft der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen ohne die Notwendigkeit weiterer, insbesondere auf eine Vertragskündigung gerichtete Erklärung des Insolvenzverwalters nur noch gegen den Schuldner und nicht mehr gegen die Masse durchgesetzt werden können.
Der BGH hat sich mit Urteil vom 09.02.2012 zu dem gerichtlichen Aktenzeichen IX ZR 75/11 der herrschenden Meinung angeschlossen und klargestellt, dass nach einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners die auf diese Tätigkeit bezogenen vertraglichen Ansprüche von Gläubigern, die nach dem Zugang der Erklärung beim Schuldner entstehen, nur gegen den Schuldner und nicht gegen die Masse verfolgt werden können. Den Insolvenzverwalter, der nach Verfahrenseröffnung die Kündigung eines von dem Schuldner begründeten Dauerschuldverhältnisses versäumt, treffen Schadenersatzansprüche nur für solche Verbindlichkeiten, die nach dem Zeitpunkt entstehen, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet hätte.
Höhe und Ermittlung des abzuführenden Betrages
Gemäß § 295 Abs. 2 InsO obliegt es dem Schuldner, soweit dieser eine selbstständige Tätigkeit ausübt, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.
Abzuführen ist von dem Schuldner daher der fiktive pfändbare Anteil desjenigen Arbeitseinkommens, das er erzielen würde, wenn er einer angemessenen unselbstständigen Tätigkeit nachgehen würde. Ob und in welcher Höhe der Schuldner aus seiner selbstständigen Tätigkeit Gewinne erzielt, ist insoweit unerheblich.
Die Vorschrift des § 295 Abs. 2 InsO löst die an den Treuhänder abzuführenden Beträge von dem wirtschaftlichen Erfolg des Schuldners. Genügen die Einkünfte des Schuldners aus seiner selbstständigen Tätigkeit nicht, um den fiktiven pfändbaren Einkommensbestandteil aus seiner unselbstständigen Tätigkeit abzuführen, riskiert der Schuldner die Versagung der Restschuldbefreiung. Bei wirtschaftlichem Erfolg, muss er demgegenüber den erwirtschafteten Überschuss nicht abführen.
Was als angemessenes Dienstverhältnis im Sinne des § 295 Abs. 2 InsO anzusehen ist, richtet sich nach den individuellen Möglichkeiten des Schuldners, insbesondere nach seiner Berufsausbildung, seinem Alter und seiner Berufserfahrung.
Angemessen ist nur eine dem Schuldner mögliche Tätigkeit, wobei die angemessene Tätigkeit nicht der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners entsprechen muss.
Zeitpunkt der Abführung
Zwischenzeitlich hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Schuldner in regelmäßigen, mindestens jedoch jährlichen Abständen Zahlungen an den Treuhänder leisten muss.
Versagung der Restschuldbefreiung
Leistet der Schuldner keine bzw. keine hinreichenden Zahlungen im Sinne des § 295 Abs. 2 InsO und beeinträchtigt er hierdurch die Befriedigung seiner Gläubiger, kann ihm auf Antrag eines Gläubigers gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO die Restschuldbefreiung versagt werden.
Häufig werden daher Abwicklungsvereinbarungen mit dem Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder durch den Schuldner getroffen. Hält sich der Schuldner an eine getroffene Abwicklungsvereinbarung, darf dieser darauf vertrauen, dass er sich richtig verhält.
Wird eine Abwicklungsvereinbarung nicht getroffen, kann sich der Schuldner jedoch nicht dadurch von einem Verschuldensvorwurf entlasten, dass er weder seitens des Insolvenzgerichts noch durch den Treuhänder darauf hingewiesen wurde, dass die von ihm abzuführenden Beträge nicht der gesetzlichen Maßgabe genügen.